Ein Wettlauf um die Zeit

China, Saudi-Arabien, USA – drei Nationen liefern sich im Jahr 2021 ein Rennen um die Pole-Position auf dem Mars. Vor 50 Jahren war es ein Rennen um die genaue Zeit, das Ingenieure mehrerer Länder, unter anderem aus Deutschland, zu Spitzenleistungen antrieb: Die Entwicklung der weltweit ersten Quarz-Armbanduhr. Daran zeigte sogar die Politik ein Interesse. Das baden-württembergische Wirtschaftsministerium stellte Junghans Fördermittel bereit, weil die Firma unter den deutschen Herstellern die höchsten Investitionen in die neue Technologie getätigt hatte. Der Wettlauf um die präzise Zeit war auch ein Prestigeprojekt.

Medienwirksame Präsentation der Astro-Quartz 

In Deutschland hatten sich Ende der 1960er Jahre unter Führung der Firma Junghans aus Schramberg (Baden-Württemberg) die vier Uhrenhersteller Junghans, PUW, Para und Bifora zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, um die erste deutsche Quarz-Armbanduhr auf den Markt zu bringen. Am 14. April 1971 war es so weit: Im Hotel Intercontinental in Frankfurt/Main stellte die Firmenleitung von Junghans bei einer Pressekonferenz medienwirksam ihre Neuentwicklung der Öffentlichkeit vor, die Junghans Astro-Quartz.

Einziger Wermutstropfen: Mit Seiko hatte ein japanisches Unternehmen bereits im Dezember 1969 seine erste Quarz-Armbanduhr präsentiert, Omega aus der Schweiz kam Anfang 1970 damit auf den Markt. Die Freude über die erste Junghans Quarz-Armbanduhr war dennoch ungebrochen. „Noch nie in der vielhundertjährigen Geschichte der Zeitmesstechnik gab es eine Armbanduhr mit der Vollkommenheit der Junghans Astro-Quartz“, jubelte man im Schwarzwald. Aufgrund der aufwändigen Technik lag der Verkaufspreis allerdings bei stolzen 800 Mark pro Stück.

Allen Herstellern gemeinsam waren seinerzeit die technischen Herausforderungen, mit denen sich die Ingenieure auseinandersetzen mussten. Junghans entwickelte und fertigte die Mehrzahl der Komponenten und auch die Stimmgabelquarze selbst. Mit dem Quarzoszillator betrat das Unternehmen jedoch Neuland und musste „erhebliches Lehrgeld“ bezahlen, wie Dokumente aus jener Zeit belegen. Den größten Ausschuss von bis zu 50 Prozent produzierte Junghans beim Planschleifen und Läppen. Bei einer Vorserie von 25 Exemplaren verwendete das Unternehmen noch die eigenen Stimmgabelquarze, kaufte für die Serienproduktion dann aber preisgünstigere Balkenquarze zu. Eine weitere Herausforderung stellte der Integrierte Schaltkreis (IC) dar, der den Quarz auf seine Nennfrequenz erregt und dann die Zahl der Schwingungen auf eine pro Sekunde reduziert. Nachdem die Zusammenarbeit mit der Firma Siemens im laufenden Prozess abrupt endete, musste Junghans nach Alternativen suchen – und wurde in den USA fündig: Motorola lieferte den Quarzresonator für das Kaliber W666.02.

 

Entwicklung startet Mitte 1967

Die Entwicklung des ersten Quarzwerkes W666 für Armbanduhren begann bei Junghans Mitte 1967 und orientierte sich am Großquarzwerk W610. In den ersten Prototypen verwendeten die Ingenieure eine Quarzstimmgabel von 8192 Hz und eine 13-stufige Teilerschaltung. Als dann die IC-Hersteller 32,768 kHz zur Standardfrequenz für Quarz-Armbanduhren wählten, stellte Junghans die Frequenz in seinen Werken ebenfalls darauf um. Angetrieben wurde das Räderwerk über einen Ankermotor, das Ankerrad mit 60 Zähnen bewegte direkt den Sekundenzeiger. Allerdings zeigte sich schnell, dass die Herstellungskosten der Kaliberfamilie 666 zu hoch waren. Beim Nachfolgewerk W667 integrierte Junghans einen 32-kHz-Stimmgabelquarz und den Lavet-Schrittschaltmotor, das Vorbild für alle weiteren Kaliber. Insgesamt etwa eine Million W666 und W667 wurden in Schramberg gefertigt, ab 1977 auch chronometerzertifiziert.

Überhaupt faszinierte die Ganggenauigkeit der Quarz-Armbanduhren zu jener Zeit Experten wie Käufer gleichermaßen. Eine Abweichung von einer Zehntelsekunde am Tag – das war gegenüber den mechanischen Uhren ein Quantensprung. Diese hatten eine Gangabweichung von einer Minute in der Woche, bei elektronischen Uhren war es eine Minute im Monat. Und bei der Quarz-Armbanduhr gerade mal eine Minute im Jahr. 

 

Beginn der großen Uhrenkrise

Was damals niemand ahnte: Der Hype um die genaueste Quarz-Armbanduhr der Welt markierte den Beginn einer schweren Krise der Uhrenindustrie in den 1970er Jahren, die viele Hersteller in Deutschland und in der Schweiz in existenzielle Not brachte. Die Quarztechnologie verdrängte sukzessive die mechanische Uhr, Junghans beispielsweise stellte deren Produktion 1976 komplett ein. Doch Billigprodukte aus Fernost ließen die Preise für Quarzuhren fallen wie die Blätter im Herbst, zahlreiche Firmen hierzulande überlebten diese Zeitenwende nicht. Die Uhrenfabrik Junghans, damals ein Tochterunternehmen des Diehl-Konzerns aus Nürnberg, verfügte über die nötigen finanziellen Mittel, um die Krise zu überstehen. 

Was ist nun geblieben von dem Wettlauf mit der Zeit vor 50 Jahren? Es ist das ungebrochene Streben, die spannende Jagd nach der genauesten Uhr, die die Zeit immer präziser anzeigt. Hier ging Junghans mehrfach als Erster durchs Ziel, setzte Meilensteine bei der Funktechnologie – während viele Uhrenhersteller vom Markt verschwanden oder sich auf mechanische Uhren konzentrierten. Mit der Serienfertigung der ersten Funk-Großuhr ließ Junghans im Jahr 1985 aufhorchen, 1990 gelang mit der ersten Funk-Armbanduhr eine weitere große Entwicklungsleistung. Heute bietet Junghans ein breites Portfolio an Uhren mit unterschiedlichen Antriebsarten: Quarz, Quarz-Solar, Multifrequenz Funk mit und ohne Solarzellen sowie mit einer Connected-Funktion per App zum Smartphone. Die Hälfte der gefertigten Armbanduhren hat ein mechanisches Werk – unter anderem dieser Rückbesinnung verdankt der Junghans Stern seine wiedergewonnene Strahlkraft.